Göttingen, 28.September 2009:

Das Verwaltungsgericht Göttingen erklärte heute im 2. Verhandlungstag die von einem Großaufgebot von Polizei und Feuerwehr durchgeführte Hausdurchsuchung eines weitgehend von Linken bewohnten Mehrfamilienhauses sowie die dabei angefertigte Fotodokumentation für rechtswidrig. Auslöser für den Einsatz war ein Fund von Kleinstmengen an Chemikalien im September letzten Jahres.

Die Polizei begründete die Durchsuchung des Hauses mit der Suche nach weiteren gefährlichen Materialien und vermeintlich im Haus befindlichen schlafenden oder sich der Räumung widersetzenden BewohnerInnen, welche in Sicherheit hätten gebracht werden müssen.

Das Gericht konnte sich den Ausführungen des Einsatzleiters der Polizei nicht anschließen und verurteilte die gezielte Durchsuchung der Wohnungen. Schließlich hatte die Polizei durch die Staatsanwaltschaft lediglich die Erlaubnis zur Durchsuchung der zum Kellerraum gehörenden Wohnung, nicht jedoch für die Durchsuchung der anderen Wohnungen. Zwar hätten die übrigen Wohnungen zur Überprüfung auf gefährliche Gegenstände oder Personen begangen werden dürfen, jedoch nicht ohne konkrete Anhaltspunkte.

Diese waren laut Meinung des Gerichts jedoch nicht gegeben, da der Einsatzleiter die dringliche Gefahrenlage auf unsachgemäße Elektroinstallationen, wie z.B. „Mehrfachsteckdosen in Mehrfachsteckdosen“  und unklare Untermietverhältnisse zurückführte.

Grund für diese verqueren Annahmen waren seine Erfahrungen mit „vergleichbaren Objekten“ in der Vergangenheit, sprich Wohnungen mit Haupt- und Untermietern.

Auf Kritik des Gerichts an seiner fadenscheinigen Begründung der Durchsuchung zeigte sich der Einsatzleiter wenig einsichtig, jedoch gab er an, dass er die Rechtswidrigkeit der von ihm angeordneten Video- und Fotodokumentation der Durchsuchung mittlerweile, nach einem Blick ins Gesetzbuch, selbst einsehe.

In Anbetracht der Tatsache, dass der Einsatzleiter die Anordnung von Videoaufnahmen selbst eingesteht, scheint es paradox, dass das Gericht einzig an diesem Punkt die Klage abwies und den KlägerInnen 1/8 der Prozesskosten auferlegte. Sie hätten die Videoaufnahmen durch die Polizei beweisen müssen, um vollständig recht zu bekommen. Die Möglichkeit zum Beweis der Aufnahmen wurde den Klagenden jedoch durch die Polizei genommen, da diese die schon selbst eingestandenen Videoaufnahmen und Fotografien im Laufe des  Verfahrens vernichtete.

Die BewohnerInnen beklagen, dass durch die Entscheidung des Gerichts die weitere Aufklärung der Geschehnisse nicht mehr möglich sei. Das Gericht erklärte mit seinem Urteil die Begründung der Durchsuchung durch die Polizei für rechtswidrig, ging jedoch nicht auf weitere Verfehlungen und Unstimmigkeiten während der Durchsuchung ein.  Schließlich bleibt unklar, warum die Polizei für die vermeintliche Suche nach Personen oder weiteren Chemikalien die gesamten Räumlichkeiten der BewohnerInnen aufs Genauste durchsuchte und hierbei Video- und Fotoaufnahmen von Schriftstücken und weiteren persönlichen Eigentums tätigte. So wurden zum Beispiel auch der Ausschluss der BewohnerInnen bei der Durchsuchung und das Aufbrechen der Wohnungs- und Zimmertüren, trotz vorhandener Schlüssel, nicht behandelt.

 

 

Der eigentliche Grund für die Durchsuchung wurde während des Verfahrens lediglich verklausuliert unter dem Verweis auf „vergleichbare Objekte“ angeführt.

Wir gehen davon aus, dass auch hier die Polizei die Gelegenheit nutzte, um ungestört Einblicke in linke Strukturen zu gewinnen. Hierbei scheint ihnen jedes legale und illegale Mittel recht. Hierfür sprechen auch die Anwesenheit von Staatsschutz und einer Tatortgruppe für besondere Kriminalität, welche auch die Durchsuchung der Wohnräume vornahm. Die verfahrensrelevanten Beweismittel wurden hierbei zeitlich verzögert vernichtet, so dass eine Auswertung durch den Staatsschutz durchaus möglich war.

Der Einsatzleiter verlies den Gerichtssaal vor  Urteilsverkündung  und entzog sich so einer Belehrung durch das Gericht. Stattdessen ließ er sich lieber unter dem Einsatz von Blaulicht vor dem Gebäude abholen.

Wir  hoffen, dass das Beispiel des Einsatzleiters richtungsweisend ist und weitere Polizeikräfte dazu bewegt, vor der Durchführung solcher Aktionen einen Blick ins Gesetzbuch zu werfen.

Unsere Solidarität gilt den BewohnerInnen, deren Grundrechte und Privatsphäre von der Polizei mit Füßen getreten wurden.

 

Wir verurteilen das Verhalten der Polizei aufs Schärfste.