Am gestrigen Mittwoch, den 17.04.2019, wurde am Amtsgericht Göttingen der Prozess gegen eine feministische Aktivistin zu Ende geführt. Ihr wurde vorgeworfen, bei einer Demonstration zum Frauen*Kampftag am 10.03.2018 zwei Polizeibeamt*innen tätlich angegriffen zu haben. Gestern wurde sie zu 90 Tagessätzen auf Bewährung verurteilt, das bedeutet, wenn sie in den nächsten zwei Jahren keiner Straftat mehr beschuldigt wird, verfällt die Strafe. Die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft haben eine Woche Zeit, um in Berufung zu gehen. Die Rote Hilfe Ortsgruppe Göttingen verurteilt den Prozess aufs schärfste.

 

Die Situation, über die jetzt verhandelt wurde, ereignete sich gegen Ende der Demonstration, welche unter dem Motto „we still resist! Jeden Tag feministisch kämpfen“ anlässlich des internationalen Frauen*Kampftags stattfand. Einem Teilnehmer wurde vorgeworfen, vier Sticker verklebt zu haben, was die Beamten als Anlass nahmen in die bis dahin entspannte Demo zu stürmen, um seine Personalien festzustellen. Dies stellt auf Grund der Banalität des Vorwurfs einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dar. Die anderen Teilnehmer*innen reagierten bestürzt und brachten ihre Kritik zum Ausdruck. Der Beschuldigten des gestrigen Prozesses wurde nun vorgeworfen, im Rahmen der Rangeleien, welche durch das brutale und überzogene Vorgehen der Polizei entstanden, zwei Beamt*innen festgehalten und an ihnen gezogen zu haben. Damit habe sie sich des Straftatbestandes des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte nach §114 Strafgesetzbuch schuldig gemacht.

Dieser Paragraph ist seit seiner Einführung im Jahr 2017 starker Kritik ausgesetzt. Schon ein versehentliches Anrempeln kann darunter fallen und würde damit mit einer Mindeststrafe von 90 Tagen bestraft werden. In der Begründung des Gesetzesentwurf wurde damit argumentiert, dass Polizist*innen im Dienst angreifbar sein können, wenn sie z.B. ihre Schutzausrüstung nicht tragen. Das ist bei Demonstrationen allerdings nicht der Fall – die Polizist*innen trugen alle ihren Panzer und waren durch ihn geschützt. Der Paragraph wird also entgegen seiner Begründung nicht dazu genutzt, Polizist*innen zu schützen, sondern dazu, Aktivist*innen einzuschüchtern. Wenn die Polizei ohne nachhaltigen Anlass eine Demonstration angreifen kann, und hinterher nicht die prügelnden Polizist*innen vor Gericht stehen sondern eine Aktivistin, die sich gegen diese Unrechtmäßigkeit gewehrt haben soll, und diese auch noch verurteilt wird, müssen wir befürchten, dass die Polizei in Zukunft häufiger das Versammlungsrecht mit Füßen treten wird.

Der Richter machte sich hier also zum Handlanger der Polizei. Er ist zudem den gesamten Prozess hindurch immer wieder mit unangebrachten und unangenehmen Äußerungen etwa zum Äußeren der Angeklagten oder zu dem „natürlichen“ Verhalten von Frauen aufgefallen. Er schien sich selbst als eine Art Familienpatriarch zu sehen, welcher die Angeklagte und die Zuschauer*innen mit Zuckerbrot und Peitsche erziehen möchte. Wir müssen nicht erzogen werden, und wir lassen uns nicht einschüchtern! Wir werden weiter auf der Straße gegen Sexismus und Patriarchat und für ein gutes Leben für alle eintreten!

 

Ob der Polizeieinsatz, mit dem das ganze Geschehen begann, überhaupt rechtmäßig war, ist stark umstritten. Die Anmelderin der Demonstration klagt zurzeit vor dem Verwaltungsgericht dagegen. Besonders in Hinblick darauf, dass der Teilnehmer, welcher die Sticker verklebt hatte, inzwischen freigesprochen wurde, können wir gespannt auf das Urteil warten.