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Die Debatte um ACAB ist an sich nichts neues und nur eine Fortsetzung der Debatte die bereits vor einigen Jahren in der Roten Hilfe geführt wurde. Und auch wenn sich die Positionen sicher ähneln, so hat sich die Rote Hilfe seitdem doch geändert, genauso wie die deutsche Linke und damit natürlich auch einige der Argumente, die angeführt werden. Für uns kommen in der aktuellen Diskussion einige Dinge zusammen. Einmal strukturelle Fragen, nach welchen Kriterien und wie genau der Unterstützungssatz festgelegt wird, aber auch politische Fragen, welche Art von linkem, politischem Konsens wir als Rote Hilfe eigentlich in unserer Solidaritätsarbeit voraussetzen.

 

Bevor wir allerdings weiter darauf eingehen möchten wir uns kurz zu den Beiträgen von Peter und Willi aus der RHZ 3/2020 äußern. Wir finden zwar nicht das diese inhaltlich all zu viel zu der Debatte beitragen, allerdings halten wir die dort geäußerten Positionen doch für äußerst kritikwürdig und unvereinbar mit einem linken Verständnis von Antirepressionsarbeit. Die Polizei, als das Exekutivorgan des Staates, setzt die Macht- und Herrschaftsansprüche des Staates am direktesten um. In einem Staat der rassistisch und sexistisch ist und in vielen Bereichen immer mehr nach rechts abdriftet, ist das daher zwingend auch immer die Polizei. Damit ist und bleibt Kritik an der Polizei einer der wichtigsten Aspekte jeder linken Bewegung. Allen Ernstes in Frage zu stellen, ob linke Kritik an der Polizei nicht grundsätzlich sowieso überzogen sei, und zu behaupten, dass "es ja auch ein paar gute Leute da gibt", ist eine Beleidigung für alle, die tagtäglich mit Gewalt durch die Polizei konfrontiert sind. Zusätzlich stellen wir uns gegen die Behauptung, die Polizei würde nur im Auftrag handeln und selbst keine antidemokratischen und rechtsextremen Auswüchse hervorbringen. Die immer wieder, vor allem in den letzten Monaten, aufgedeckten rechtsextremen Gruppen innerhalb der Polizei und Militär zeigen ganz deutlich, dass auch innerhalb der Polizei ein massives strukturelles Problem mit Rechtsextremismus existiert. Die beiden Beiträge sind außerdem erkennbar aus einer privilegierten Sicht verfasst. So wird z.B. nicht hinterfragt, ob Refugees oder People of Color im Allgemeinen gar keine positiven Erfahrungen mit der Polizei haben können, da der doch sonst so nette Polizist von Nebenan am Wochende Personen aus den Betten reißt und in Länder abschiebt, in denen ihnen Verfolgung und schlimmstenfalls der Tod droht. Wenn diese Polizist*innen beim Sonntagskaffee dann zu weißen deutschen Staatsbürgern auch noch so nett sein mögen, sie sind Teil des Systems.

 

Zu ACAB selbst sind uns zwei Dinge wichtig. Einmal die Kritik selbst aufzugreifen, auf deren Grundlage es zu Kürzungen kam, aber auch die jetzt wiederaufkommende Debatte um den Umgang der Roten Hilfe mit Unterstützungsfällen diesbezüglich.

Zu der Kritik an ACAB. Sie bezieht sich in erster Linie auf die Herkunft des Wortes Bastard und seine ursprüngliche Bedeutung - nicht eheliche Kinder oder sogenannte "Mischlinge" (Menschen mit Eltern unterschiedlicher Hautfarbe) zu diffamieren - . Davon ausgehend, dass der Begriff auch heute noch so verwendet wird und seine beleidigende Wirkung aus seiner sexistischen und rassistischen Geschichte zieht, ist das Argument also, das Beleidigungen auf so einer Grundlage nicht Teil des Vokabulars einer linken Bewegung sein sollten. Es gibt unseres Wissens nach keine aktuellen, quantitativen Erhebungen zu dem Thema. Sprache ist kein festes Konstrukt, sondern im stetigen Wandel begriffen. So hat sich zum Beispiel die Sicht auf Familie und Ehe innerhalb der Gesellschaft erheblich gewandelt. Lebensentwürfe jenseits einer lebenslangen Ehegemeinschaft sind wesentlich normaler geworden. Das zieht nach sich, das Beleidigungen und Ausgrenzung von "nicht ehelich" gezeugten Kindern kontinuierlich sinken. Natürlich heißt das nicht, dass die Vorurteile vollkommen verschwunden wären, allerdings heißt es schon, dass man nicht einfach unterstellen kann, dass alle Menschen überhaupt um die Geschichte des Begriffes wissen und ihn auf Grund dieses Ursprungs als Beleidigung verwenden. Für viele wird der Begriff heute eher als Beleidigung synonym zu dem Wort "Arschloch" verwendet, vollkommen losgelöst von der eigentlichen, historischen Bedeutung.

Gleichzeitig ist aber die Frage, ob das als Argument ausreichen kann. Schließlich sollte man den Fokus vielleicht nicht auf die verwendenden Personen legen, sondern auf diejenigen, die die Beleidigung letztendlich abbekommen. Es gibt genug Menschen, die selbst mit diesem Begriff beleidigt wurden und ihn daher nicht verwenden, weil sie die Diskriminierungen, die hinter ihm stehen, nicht reproduzieren wollen. Und die kontinuierliche Verwendung des Begriffes von denjenigen die nicht um seine Geschichte wissen, erlaubt nun mal auch Rassist*innen und Sexist*innen es noch heute, ihn Menschen ins Gesicht zu schleudern, die davon schon ihr Leben lang betroffen sind. Wenn die Verwendung dieses Begriffes innerhalb einer politischen Bewegung, die an sich selbst den Anspruch hat, wenigstens zu probieren Mechanismen der Unterdrückung wie Sexismus und Rassismus zu überwinden, also kritisch hinterfragt wird, so lässt sich daran auf gar keinen Fall etwas negatives erkennen. Daher können wir absolut nicht nachvollziehen, wie der Beitrag der Ortsgruppe Berlin (RHZ 01/2020) dazu kommt, die Arbeit der forschenden Menschen zu der Geschichte und Verwendung des Bastardbegriffes im deutschsprachigen Raum einfach als „Herrschaftswissen“ abzutun. Über die Gewichtung der Argumente und welcher Position man letztendlich anschließt, lässt sich streiten, aber tatsächlich die gesamte Debatte selbst in Frage zu stellen, nur weil sie nicht zum eigenen politischen Selbstverständnis passt, ist, grade in einer strömungsübergreifenden Organisation wie der Roten Hilfe, auf jeden Fall unzulässig. Links zu sein bedeutet immer kritisch zu sein, auch gegenüber der eigenen Praxis.

An diese kritische Betrachtung des Ausdrucks schließt sich nun die Frage an, ob, und wenn ja welche, Konsequenzen aus einer Kritik an ACAB für die Rote Hilfe folgen sollten bzw. können. Wir in erster Linie eine Solidaritätsorganisation. Unserem Selbstanspruch nach geht unsere Unterstützung natürlich über die finanzielle Hilfe hinaus, diese Unterstützung ist jedoch der Punkt, an dem unsere Hilfe am deutlichsten wird und mit der wir am stärksten verbunden werden. Wenn wir jemandem also diese Unterstützung verweigern, auch teilweise, dann muss das ganz klar als Bestrafung verstanden werden. Wenn die Verwendung eines bestimmten Wortes mit einer Kürzung einhergeht, bedeutet das nichts anderes als ein "Verbot" dieses weiterhin zu nutzen. Bei vielen Beleidigungen, die auch innerhalb der linken Bewegung nicht akzeptiert sind, ist das sinnvoll und unstrittig. Als linke Solidaritätsorganisation möchten wir schließlich, dass die politische Praxis, die wir unterstützen auch die politischen Ansprüche, die eine emanzipatorische Bewegung an sich selbst haben sollte, widerspiegelt. Unserer Meinung nach ist das aber bei ACAB nicht der Fall. Es gibt dazu keinen Konsens innerhalb der Bewegung, auch in der Roten Hilfe selbst nicht. Auf den BDVen, auf denen es diskutiert wurde, konnte keine Mehrheit für eine generelle Ablehnung gefunden werden. Wenn wir uns aber als strömungsübergreifende Organisation verstehen wollen, müssen wir dabei den Konsens innerhalb der gesamten deutschsprachigen Linken nehmen, wie er gerade ist. Wir können uns an einer Diskussion beteiligen, oder diese sogar anstoßen. Was aber nicht geht, ist, dass wir autoritär, mittels Strafen, also Kürzungen der Unterstützung, probiert eine Änderung der politischen Praxis zu erzwingen.

 

Rote Hilfe OG Göttingen, Dezember 2020